Chaos Computer Club fordert Erhalt der Freiheit im Netz
27. November 2008
(erdgeist)
Das
sogenannte Telekom-Paket ist eine umfassende Sammlung neuer Regelungen
des Europäischen Parlaments für die Rechte von Verbrauchern auf dem
Telekommunikationsmarkt. Neben vielen begrüßenswerten Neuregelungen
zugunsten der Verbraucher sollen jedoch gleichzeitig die Nutzer von
Tauschbörsen verfolgt und Internetsperrungen ermöglicht werden. Derweil
planen deutsche Politiker die Einführung einer umfassenden
Internet-Zensurinfrastruktur.
Am
heutigen Donnerstag wird der EU-Ministerrat das Telekom-Paket, das aus
mehreren neuen Richtlinien für elektronische Kommunikation (Mobil- und
Festnetztelefonie, Rundfunk und Internet) besteht, erneut verhandeln.
Eigentlich gehören Inhalte von Kommunikation nicht in den
Kompetenzbereich von europäischen Richtlinien, die Lobbyisten der
Musik- und Filmindustrie haben jedoch ganze Arbeit geleistet. Wird das
Telekom-Paket unverändert beschlossen, droht in zwei Jahren in
Deutschland eine weitere Verschärfung der systematischen Überwachung
der Telekommunikation und eine neue Jagd auf Filesharer bis hin zu
Internetentzug ohne richterlichen Beschluss.
Unter
dem Deckmantel der Regulierung des Telekommunikationsmarktes sollen in
dem Paket grundlegende Freiheitsrechte der Europäer beschnitten werden.
Das Recht auf freien und ungehinderten Zugang zu Kommunikation und
Information wird dem Profitstreben der Unterhaltungsmafia geopfert.
Ohne Zugang zum Internet ist der Mehrheit der Deutschen eine normale
Lebensführung jedoch nicht mehr möglich. Ein Studium an einer deutschen
Universität ist z. B. ohne Internetnutzung undurchführbar, da alle
wesentlichen Informationen und Verwaltungsvorgänge elektronisch
übermittelt werden. Mit der Umsetzung der von der Bundesregierung
propagierten eGovernment-Ziele kommt ein Ausschluss vom Internet de
facto einem Entzug der Bürgerrechte gleich.
Zeitgleich
versuchen konservative Internetausdrucker wie Familienministerin Ursula
von der Leyen und Wirtschaftsminister Michael Glos unter der Flagge
"Bekämpfung von Kinderpornographie" eine flächendeckende
Internet-Zensurinfrastruktur durchzudrücken. Der CDU-Plan sieht vor,
Provider zur Installation von Filtersystemen zu verpflichten.
Internet-Routerhersteller bieten solche Geräte gern zur "Optimierung
der Bandbreitennutzung" für Internetanbieter an. Dass sie ohne weiteres
zur Zensur beliebiger Internetinhalte benutzt werden können, ist
bislang kaum bekannt. Mit der durchgehenden Installation solcher
Zensurgeräte wäre das komplette Ausblenden missliebiger oder
oppositioneller Inhalte für den Normalnutzer problemlos möglich. Einzig
die Frage, wer nach welchen Kriterien die Zensurlisten verwaltet, ist
dann noch von Belang.
"Damit begeben sich
Europa und Deutschland auf eine Stufe mit Diktaturen und
Unterdrückungsregimes, die ihre Bevölkerung nach eigenem Bekunden auch
nur vor 'schlechten Einflüssen' schützen wollen", sagte CCC-Sprecher Dirk Engling. "Die
für Innovation, Fortschritt, Meinungsfreiheit und gesellschaftliche
Entwicklung zwingend notwendige Netzneutralität wird damit ausgehebelt."
Die Unterdrückung von Kinderporno-Seiten ist nur der
Vorwand, um eine solche Zensurinfrastruktur einzuführen.
Gesellschaftliche Probleme wie Kinderpornographie sind jedoch nicht
durch Wegschauen und Ausblenden zu lösen. Stattdessen müssen die
Strafverfolgungsbehörden endlich mit genügend Personal und
Infrastruktur ausgerüstet werden, um effektiv und gezielt gegen die
Hersteller und Verbreiter von Kinderpornographie vorzugehen. Die
Regierung versucht hier wieder einmal, untaugliche und ineffiziente
Maßnahmen als Lösung zu verkaufen, anstatt ausreichend Ressourcen für
wirksame und zielführende Vorgehensweisen bereitzustellen.
Der Chaos Computer Club wendet sich gegen jede Form der
Einschränkung des Zugangs zu ungehinderter Kommunikation und
Information. Der freie Informationsaustausch ist einer der Grundpfeiler
der westlichen Zivilisation und darf nicht Profitinteressen von
Medienkonzernen oder vorgeblicher Kriminalitätsbekämpfung geopfert
werden. Anstatt den Zugang zum Internet endlich als elementare
Voraussetzung für die kulturelle Teilhabe und Umsetzung des
Menschenrechts auf Information und Kommunikation anzuerkennen,
diskutieren Politiker nach wie vor, unter welchen Voraussetzungen
Menschen von diesem Medium ausgeschlossen werden können.
"Wieder einmal werden hier Geist und Buchstabe der
Verfassung ignoriert. Ob dies nun aus Unfähigkeit oder Böswilligkeit
geschieht, ist mittlerweile unerheblich geworden", fasste CCC-Sprecher Dirk Engling zusammen.